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Ironman

Ironman published on 9 Kommentare zu Ironman

Hamburg, Jungfernstieg, 2. Juni 2024, 06:14 Uhr.
Zusammen mit meinem Coach Olli und ca. 2500 anderen Menschen in Neoprenanzug, Badekappe und Schwimmbrille. Die Alster hat knapp 19°C, es ist leicht bewölkt und es scheint weder ein heißer noch ein kalter Tag zu werden. Ideale Bedingungen. Vor uns allen hier liegen 3.8 Km Schwimmen, anschließend 180 Km Radfahren und am Ende ein Marathon. In diesem Moment kommt mir dieses Vorhaben reichlich bekloppt vor. Wie bin ich hier nur hineingeraten?

Was mache ich eigentlich hier? Mein Magen grummelt. 06:15 Uhr, es fällt der erste Startschuss. Die Profifrauen starten auf der Triathlonlangdistanz zu Ihrer Europameisterschaft.

Was soll mir schon passieren? Ich habe mich gut vorbereitet. Ja, das Training lief nicht immer rund und wie geplant, aber im großen und ganzen ist es schon gut gelaufen. Ich weiß dass ich einen Marathon laufen kann, und dass ich 4 Km im Freiwasser am Stück schwimmen kann. Beides habe ich im vergangenen Jahr gemacht.

Ein Moderator heizt uns an. Wir klatschen. Es gibt motivierende Musik, reichlich Galgenhumor, Zuschauer um uns herum klatschen. Das alles rauscht irgendwie an mir vorbei. Übelkeit steigt auf. Um 06:20 Uhr der zweite Startschuss für die Paratriathleten.

Trotz all der Menschen um mich herum fühle ich mich allein.
06:30 Uhr, es geht los! Nach und nach kommt Bewegung in die Gruppe um mich herum und es geht Richtung Schwimmstart. Gegen 07:00 Uhr bewege ich mich die Rampe vom Jungfernstieg in die Alster herunter. Und dann das ….. ich bekomme Panik, atme sehr heftig, kann meinen Kopf nur über Wasser halten. Verdammt! Ich dachte so langsam habe ich das im Griff mit dem Freiwasser. Ein DLRG Mann auf einem Schwimmboard ist schnell bei mir und fragt ob ich heraus will, ich habe ja offensichtlich Probleme. Ich erkläre ihm, dass das ganz normal ist und ich nur ein paar Minuten brauche. Er versteht das, bleibt bei mir und irgendwann kann ich richtig Iosschwimmen, komme nach und nach immer besser in einen vernünftigen Schwimmrhythmus. Gottseidank.
Dann kommt relativ schnell die Lombardsbrücke, unter ihr durch geht es in die Außenalster. Weil die Bojen sehr weit auseinander stehen fällt es mit irgendwie schwer trotz der einfachen Schwimmstrecke die Orientierung zu behalten. Zweimal müssen mir die Rettungsschwimmer helfen, weil ich irgendwie auf falschem Kurs bin. Zwischen den Bojen ist das Schwimmen sehr angenehm, an den Bojen selbst stoße ich immer mit vielen anderen zusammen. Irgendwie sammeln sich an den Bojen alle Schwimmer immer wie Insekten am Abend an einer Lichtquelle. Bis zur Wendeboje läuft es relativ gut. Der Rückweg zur Lombardsbrücke erscheint mir unglaublich lang. Als die Brücke erreicht ist und es zurück in die Binnenaltster geht, merke ich, dass ich schon relativ erschöpft vom Schwimmen bin. Aber ab hier ist das Ziel im Blick und der Weg zum Ausstieg läuft wie geschmiert. Ich weiß, dass ich es sicher auf die Radstrecke schaffen werde und das schafft neue Motivation, der holprige Schwimmstart ist vergessen.

Am Ausstieg steht zwischen hunderten von Menschen mein Fanclub. Alles rauscht an mir vorbei. Trotz rufen und winken nehme ich sie nicht wahr. Auf in die Wechselzone.
Ganz ruhig und entspannt trockne ich mich kurz ab und ziehe, Radschuhe, Ärmlinge und Windweste an. Helm auf, Beutel wieder hinhängen und lostraben zum Rad. Ich fühle mich gut und motiviert, auch wenn ich mit 180 Km auf dem Rad vor mir die Hosen mächtig voll habe.

Die Radstrecke führt in einer kleinen Schleife zunächst über St. Pauli bis etwa Altona und geht entlang an den Landungsbrücken, Freihafen und Elfi zurück, und geht dann weiter neben einem Deich die Elbe entlang. Die Strecke über St. Pauli und an den Landungsbrücken zurück ist fordernd. Ich verstehe, dass Hamburg als Ausrichter zeigen möchte was es zu bieten hat. Aber das hat seinen Preis: Schlaglöcher, Kopfsteinpflaster, Bahnübergänge, enge Kurven.
Die Strecke am Deich entlang ist spitze. Super Straßenverhältnisse und schnurstracks gradeaus. Ein Eldorado fürs TT-Bike. Aber: Sehr viel Wind. Schon in der ersten Runde merke ich wie sehr mich der mürbe macht.
Im vergangenen Jahr ging es auch auf dieser Strecke zurück Richtung Innenstadt. Im Begegnungsverkehr kam es aber zu einem Unfall, bei dem ein Medienmotorrad im Begegnungsverkehr einen Radfahrer frontal erwischt hat. Folge: Ein Toter, zwei Schwerverletzte. Aus diesem Grund wird die Strecke in diesem Jahr anders zurückgeführt. Und dieser Teil der Strecke ist hart. Abwechselnd freie Fläche mit viel Wind und Wohngebiete mit sehr schlechten Straßenverhältnissen. Gegen Ender der ersten 90-km-Runde schmerzen Handgelenke und Schultern stark infolge der ganzen Schlaglöcher, die ich nicht immer rechtzeitig gesehen habe. Das mag auch der Preis dafür sein, dass ich die Masse auf einer Indoorrolle trainiert habe.
Sei’s drum. Nach den ersten 90 km bin ich echt durch. Der Gedanke daran die gleiche Runde noch einmal fahren zu müssen ist eine echte erste mentale Herausforderung. Ich erinnere mich daran wie gerne ich auf die Laufstrecke will und das hilft.
Auf der zweiten Runde sind nur noch wenig Radfahrer auf der Strecke. Das macht das ganze entspannter, aber dadurch weiß ich auch, viele sind schon fertig mit der Radrunde und ich muss aufpassen nicht die CutOffZeit zu reißen. In der ersten Runde wurde ich bereits von den Profifrauen überrundet. Es fällt mir immer schwerer in die Pedale zu treten. An einer Verpflegungsstation halte ich sogar an und steige kurz vom Rad um meinen Körper einmal durchzustrecken. Es nützt ja nix. Auch wenn meine Durchschnittsgeschwindigkeit rapide runter geht, ich überhole doch den ein oder anderen. Ein Blick in deren Gesichter verrät: Denen geht es auch nicht besser als mir.

Ziemlich erschöpft erreiche ich nach 180 Km zum zweiten mal die Wechselzone. Als einer der letzten hänge ich mein Rad an die Stange. Mein Fanclub steht auf Höhe meiner Wechselbeutel und feuert mich an. Mein Kommentar „Erklärt mal wie ich jetzt noch einen Marathon schaffen soll!“ schieben sie mit einem gekonnten „ach, das machst Du jetzt locker noch!“ beiseite. Im Wechselzelt, stelle ich fest, dass ich den falschen Wechselbeutel genommen habe. Also nochmal zurück den richtigen Wechselbeutel holen. Neben mir auf der Bank sitz einer, der auch noch nicht ganz so recht weiß wie er die Laufstrecke überleben soll. Ich ziehe mich wie geplant komplett um und lasse mir bewusst Zeit dabei. Jetzt in Hektik verfallen tut keine Not.

Mit einem „Du schaffst das!“ vom Fanclub starte ich auf die Laufstrecke. Und ich weiß: Das wird jetzt kein Spaziergang …

Die Laufstrecke geht insgesamt vielmal die komplette Alster hinauf und wieder runter. Der gesamt Weg ist gesäumt von gut gelaunten feiernden Menschen. Grandiose Stimmung überall. Obwohl sie kaum einen der Athleten kennen feuern sie jeden an. Man kann das kaum beschreiben, aber es ist ein unglaublich tolles Gefühl und so etwas trägt Dich über die Strecke.
Die erste Runde kann ich noch relativ locker durchtraben, gegen Ende der ersten 10 Km werden meine Beine richtig schwer, der Rücken und die Knie schmerzen. Es nützt nichts, ich muss gehen. An der nächsten Verpflegungsstation klopfen Sie mir auf die Schulter „Mega, Du schaffst Das!“.
Allerdings habe ich grad starke Zweifel, ob das noch zu schaffen ist. Jeder Versuch wieder ins Laufen zu kommen scheitert. Die Beine wollen einfach nicht mehr. Es ist zum Verzweifeln. Der Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich den Rest verdammt schnell „gehen“ muss um es noch vor Zielschluss zu schaffen.
Als ich meinen Fanclub an der Laufstrecke treffe, klage ich mein Leid, dass das so wohl nicht zu schaffen ist. Sie zücken den Taschenrechner und rufen: „Wir haben das durchgerechnet! Das passt! Stramm weitergehen! Einfach so weitergehen! DAS PASST!“ und ich gehe stramm los. Im Grunde wie ein Leistungsmarsch bei der Bundeswehr. Das kenne ich ja …
Und so trotte ich vor mir hin. Am Rande werde ich angefeuert und mein T-Shirt mit dem aufgedruckten Bügeleisensymbol vorn und dem #BügelKai hinten wird überall gefeiert. An den Verpflegungsstationen päppeln sie mich immer wieder auf. Um mich herum sind immer mehr Athleten mehr gehend als laufend unterwegs. Wenn man in deren Gesichter schaut will man wirklich nicht wissen wie man selbst ausschaut. Jedes mal wenn ich an meinem Fanclub vorbeikomme rufen Sie „Weiter so! Das kommt genau hin! Die Zeit passt!“

Ich habe immer mehr Zweifel ob das wirklich passt. Aber ich „marschiere“ weiter.
Die letzte Runde entlang der Alster ist sehr einsam. Die Verpflegungsstationen packen schon etwas zusammen. Trotzdem bekomme ich noch alles was ich brauche. Es ist bereits dunkel. Nur noch einzelne Leute stehen am Rand und klatschen. Sie rufen Dinge wie „ich hätte das niemals geschafft, Du bist große Klasse“ oder „Saustarke Leistung!“ oder „Respekt! Du ziehst das durch!“.
Es motiviert. Aber tief in mir drin bin ich schon etwas enttäuscht, dass ich mich auf diese Art und Weise ins Ziel schleppen muss. Aber es geht nicht anders und jetzt aufgeben ist auch keine Option.

Am Gänsemarkt angekommen wird mir klar: Ich komme ins Ziel! An der „Lap-Control“ werde ich hart gefeiert. Ich rufe den Helfen zu „Na? welche letzte Farbe habt ihr noch für mich?“ und sie rufen „ROT!“ und ich „DAS NEHME ICH!“ und alle lachen, ich bekomme ein rotes Armband, als Bestätigung für das absolvieren der letzten Runde und ich trabe Richtung Rathausmarkt …

Am Rathausmarkt ist Partystimmung. Als ich den roten Teppich sehe sind alle Schmerzen weg. Was nun kommt lässt sich mit keinem Wort beschreiben. Musik. Jubelnde Menschen. Ich trete an die First-Timer-Glocke und läute diese. Ein Mann am Mikro ruft „da kommt Kai, hopp! hopp! die letzten Meter, Kai! YOU ARE AN IRONMAN!“ und dann kommt die Ziellinie. Ich habe es geschafft! Und ich weiß nicht ob ich lachen oder weinen soll. Die Frau, die mir meine Finishermedaille umhängt kommt mir irgendwie bekannt vor. Ich bin etwas verdutzt, dass sie Englisch mit mir spricht. Sie klopft mir auf die Schulter, ich bekomme eine Wärmedecke. Ich habe es nur wenige Minuten vor der CuttOffZeit ins Ziel geschafft. Der Fanclub hat recht behalten: Das Tempo hat vollkommen ausgereicht. 🙂

Das Fazit mit etwas Abstand danach:

  1. Ich habe es geschafft! Ich bin ein Ironman! Mit 15h 27min 01s noch vor dem Besenwagen und offiziell auf dem allerletzten Platz. Dazu muss man aber auch sagen, dass es gute 200 von den rund 2500 Startern nicht ins Ziel geschafft haben.
  2. Dass ich überhaupt beim Laufen nicht aufgegeben habe, habe ich meinem Fanclub vor Ort zu verdanken, die mir immer wieder beteuert haben, dass das mit der Zeit hinkommt. Das war am Ende das Zünglein an der Waage der Motivation.
  3. Die Dame, die mir im Ziel meine Medaille umgehängt hat war übrigens keine geringere als Maja Stage Nielsen, die an diesem Tag Vizeeuropameisterin geworden ist. Das ist wirklich eine sehr große Geste, die ich leider erst am Tag danach wirklich geblickt habe. Danke Maja für diese große Wertschätzung gegenüber den Agegroupern. Diese Tradition, dass die ersten den letzten die Medaillen umhängen ist etwas sehr besonderes, das diesen Trieathlonsport ausmacht.
  4. Auch wenn der Marathon am Ende ein „elender Gang“ war, das Schwimmen und das Radfahren waren tatsächlich in der geplanten Zeit. Von daher kein Grund zur Enttäuschung. Und ich war bei weitem nicht der einzige, der am Ende nicht mehr laufen konnte. Ankommen war das Ziel. Dieses Ziel habe ich erreicht.
  5. Ich habe viel mit meinem neuen TT-Bike gehadert im Training. Auf der Wettkampfstrecke sind wir doch noch Freunde geworden. Das Trinksystem hat sich als großartig herausgestellt und auf der Rennstrecke entlang der Elbe hat es wirklich sehr viel Spaß gemacht.
  6. An die Helfer an der Strecke: IHE SEID EINFACH NUR GROßARTIG! Ohne Euch wäre das alles gar nicht möglich. An den Verpflegungsstationen fehlte es an nichts, Ihr habt sehr zur Motivation beigetragen. Und insbesondere dem Rettungsschwimmer in der Alster danke ich sehr, dass er mich kurz nach dem Start beruhigen konnte und einfach zwei Minuten für mich da war. Danke!
  7. Hamburg. Ich habe bewusst Hamburg für die erste Langdistanz gewählt. Und das war gut. Ich kannte schon Teile der Strecke von den olympischen Distanzen. Das hat sich bewährt. Das Wetter war nahezu ideal. Kein Regen, keine brütende Sonne, nur auf der Radstrecke reichlich Wind. Hamburg war definitiv eine gute Wahl.
  8. Du brauchst Menschen um Dich herum, die ein Projekt wie eine Langdistanz möglich machen. Allen voran eine Partnerin, die diesen ganzen Zirkus mitmacht. Wenn man sich eh nur am Wochenende sehen kann und diese Zeit auch noch dem Sport zum Opfer fällt, dann fordert das einer Beziehung schon sehr viel ab. Ich bin wirklich glücklich, dass ich eine Partnerin an meiner Seite habe, die mich so unglaublich unterstützt hat, um diesen großen Traum wahr werden zu lassen.
    Dann hatte ich zusätzlich noch einen Coach, der mir die gesamte Trainingsplanung abgenommen hat und der an mich geglaubt hat. Die Umstände mit beruflichem Pendeln und viele andere Herausforderungen hat er angenommen und absolut das Maximum aus der verfügbaren Trainingszeit herausgeholt. Danke Olli Buck.
    Und dann noch die Fans vor Ort: Das war das Maximum an Unterstützung, was ich haben konnte. Danke Euch allen. Ihr habt einen großen Anteil am Erfolg!

9 Kommentare

Ganz großen Respekt, ehrlich!

Der „letzte“ Platz täuscht ja über das wirklich Wichtige hinweg: Du bist fitter und hartnäckiger und tougher als 99% der Bevölkerung.

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